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Wolfgang Ullrich

Freier Autor

Leipzig an einem Freitagabend. Wolfgang Ullrich sitzt in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch, als wir mit ihm skypen. Er trägt einen dicken Rollkragenpullover - der klassische Kunsthistoriker.


1967 in München geboren, begann Ullrich mit neunzehn ein Studium der Philosophie und Kunstgeschichte in seiner Heimatstadt. „Ich hatte von Beginn an den Anspruch, als jemand, der selber Texte schreibt, mein Geld zu verdienen. Zugleich war aber klar, dass ich kein literarisches Talent habe, daher mussten es eher essayistische, wissenschaftliche Texte sein.“ Insbesondere Philosophie erschien ihm dafür geeignet. Darüber hinaus belegte er Kurse in Logik und Wissenschaftstheorie, um sich auszuprobieren.

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Nach dem Abitur bot Ihm ein Stipendium die Freiheit, sich voll und ganz auf sein Studium und eine anschließende Promotion zu konzentrieren. Ein Nebenjob war demnach nicht notwendig. Nach seiner Magisterarbeit über den amerikanischen Philosophen Richard Rorty 1991 sei eine anknüpfende Promotion für ihn offensichtlich gewesen. „Man hat den Magister halt als Etappenziel gemacht, aber eigentlich war klar, dass man promovieren will.“ 1994 reichte er seine Dissertation zum Spätwerk des Philosophen Martin Heidegger ein. Für Studierende, die ihre wissenschaftliche Kompetenz „mit einem Gütesiegel versehen“ wollen, empfiehlt er auch gegenwärtig eine Promotion. Ob man eine universitäre oder freiberufliche Laufbahn anstrebe, der Titel besitze durchaus eine gewisse Autoritätsfunktion. Auch nach seiner Abgabe wich er nicht von seinem einstigen Ziel, Texte zu schreiben, ab. Ullrich machte sich selbstständig und wurde freier Autor. Eine universitäre Laufbahn stand für ihn zu diesem Zeitpunkt nicht im Raum. Wenngleich sich die erste Zeit als Freiberufler zeitweilig als mühsam herausstellte und die Aufträge zunächst ausblieben, war er dennoch zufrieden.


1997 änderte sich seine berufliche Laufbahn unerwartet. Bei einem Symposium wurde Walter Grasskamp, Kunstkritiker und damaliger Professor an der Akademie in München, auf ihn aufmerksam. Dieser suchte damals einen Assistenten und bot ihm die Stelle postwendend an. Ullrich zögerte, seinen Status, Freiberufler zu sein, wollte er nicht aufgeben. Dass es nur eine halbe Stelle war, spielte ihm daher in die Karten. Und so kam es, dass er sich drei Jahre nach Abschluss seiner Dissertation an einer Hochschule wiederfand. Zu seinen Aufgaben zählte die Entlastung Grasskamps in der Lehre. Er konnte so ein eigenes Seminar und eine Vorlesung umsetzen. „Das war sehr anstrengend, aber letztlich auch sehr fruchtbar, da ich mir in diesen Jahren einen ziemlichen Fundus an Gedanken, Thesen, Material aneignen konnte. Und letztlich sind aus diesen Vorlesungen der Münchener Akademie auch zwei Bücher ganz direkt geworden und noch ein, zwei andere wesentlich gefüllt worden.“ Nebenher arbeitete er unentwegt an seinen eigenen Projekten weiter. Da die Assistentenstelle auf sechs Jahre befristet war, endete seine Zeit in München 2003.


Die Aussicht auf eine Gastprofessur an der Hochschule für bildenden Künste in Hamburg stellte ihn erneut vor die Entscheidung: Universität oder Freiberufler. „Da freute ich mich schon, jetzt wieder ganz frei zu sein und dann kam gleich direkt der Anruf aus Hamburg“, bemerkt er lachend. Die Tätigkeiten in Hamburg ähnelten seiner Münchener Stelle. „Der Vorteil einer Gastprofessur gegenüber einer regulären Professur ist: es bleibt einem weitgehend alles, was Selbstverwaltung und Administration anbelangt, erspart.“ Parallel dazu entwickelten sich diverse Lehraufträge in Form von Blockseminaren unter anderem in Karlsruhe, St. Gallen, Salzburg und Zürich. Dies sei reizvoll gewesen, um etwas Neues auszuprobieren und Studierende an einer anderen Hochschule kennenzulernen. „Das war wie ein kleiner Ausflug.“


Bereits während der zwei Semester als Gastprofessor in Hamburg erhielt Ullrich einen Anruf von der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, wo er bereits mehrfach Lehraufträge wahrgenommen hatte. „Das lief tatsächlich immer alles, ohne, dass ich mich hätte drum bemühen müssen.“ Sie fragten ihn als Gastprofessor an und er stimmte zu. Dass es nicht bei dieser Gastprofessur blieb, ist nur stringent und vorherbestimmt, wenn man seine bisherige Karriere begutachtet. Aus der Karlsruher Gastprofessur entwickelte sich sodann 2006 eine Professur für Kunstwissenschaften und Medientheorie. Doch auch bei dieser Stelle zögerte er zunächst, „weil ich sehr gerne mein Ethos als Freiberufler auch ausgelebt [..] [hätte]“. Er bewarb sich dennoch, zumal die Karlsruher Hochschule „ein interessanter Ort war - vom Personal, von den ganzen Strukturen her.“ Die Tatsache, dass es hier kein festes Curriculum und keinen festen thematischen Rahmen gab, reizte ihn. Es wurden Projekte von Dozierenden angeboten, unter denen sich die Studierenden aussuchten, an was sie teilnehmen wollten. Ullrich konnte so unter anderem ein großes Ausstellungsprojekt im Deutschen Historischen Museum in Berlin umsetzen. „Man war herausgefordert sich jedes Semester neue Themen, neue Projekte zu überlegen. Auch sich Dinge zu überlegen, die möglichst unterschiedliche Studierende der Hochschule ansprechen könnten.
2014 wurde er zudem Prorektor. „Das war etwas, das mir persönlich jetzt nicht so Spaß gemacht hat. Da ist man doch sehr stark mit Verwaltungsdingen, Haushaltsfragen und Brandschutz und all diesen Dingen befasst.“


Dass er eines Tages seine Professur niederlegen und ausschließlich freiberuflich arbeiten würde, erscheint klar. „Am Schluss [...] habe ich mich gar nicht mehr frei gefühlt. Ich hatte eher den Eindruck, in der Institution gegen meine Interessen zu arbeiten.“ 2015 kehrte Ullrich der Universität den Rücken zu und ist seither wieder ganz als freier Autor tätig. Dies sei die beste Entscheidung seines Lebens gewesen. Die Freiheit schätze er seit seinen universitären Beschäftigungen wieder umso mehr. Wir haben Ihn gefragt, wie sein aktueller Alltag aussieht. „Von außen betrachtet, an Langweiligkeit nicht zu überbieten.“ Er setze sich morgens an seinen Schreibtisch, fahre den PC hoch und schreibe bis zum Abendessen. Schmunzelnd fügt er hinzu, dass er wie alle natürlich auch Zerstreuung im Internet finden könne und der Grad zwischen Recherche und Ablenkung manchmal sehr schmal sei. Von seinen Büchern allein könne er nicht leben. Deshalb verbrachte er bis zu Beginn der Corona-Pandemie viel Zeit in Zügen, um zu Diskussionen, Symposien und Vorträgen zu gelangen. „Da war ich schon sehr mobil [...] Wie viel das war, ist mir erst jetzt in den letzten zehn Monaten bewusst geworden, in denen ich eigentlich immer zu Hause bin.“

Das Autor-Sein empfinde er grundlegend als privilegierte Tätigkeit. Es gebe diverse Möglichkeiten der Veröffentlichung, bedingt auch dadurch, welches Publikum erreicht werden solle. Sein erstes Buch schickte Ullrich ganz unkonventionell selbst an verschiedene Verlage. Eine positive Antwort kam vom Verlag Klaus Wagenbach Verlag. Seither werden seine Bücher dort verlegt. Sobald er ein Thema genauer ins Auge gefasst habe und tieferes Potenzial darin erkenne, schicke er ein Exposé an diesen Verlag. Meist dauere es ab diesem Punkt ein bis anderthalb Jahre bis zum Erscheinen eines Buches. Den Verlag zu wechseln? Derartiges käme nur infrage, wenn ein Vorschlag einmal abgelehnt werde. „Als Autor, der schon eingeführt ist und ein paar Titel hat, die dem Verlag letztlich schwarze und nicht rote Zahlen beschert haben, darf man sich auch mal was Riskanteres leisten, wo von vornherein nicht klar ist, ob es sich trägt oder nicht.“
Über die Bücher hinaus veröffentlicht er Texte in Zeitungen und Zeitschriften. Seit zehn Jahren ist er zum Beispiel als Kolumnist für das Kunstmagazin Art tätig. Seine Kolumne erscheint monatlich. „Das ist ein ganz schöner Fixpunkt, um zu wissen, dass man einmal im Monat einen Text in einem festgegebenen Format hat. Und überlegt da frei sein Thema.“ Weitere Kooperationen scheinen dabei wesentlich unverbindlicher, auch wenn sie, wie mit der ZEIT, bereits seit zwanzig Jahren bestehen. „Für mich ist es eher eine Ergänzung, die Arbeit für Zeitungen oder manchmal auch ein Test, einen Probeballon für ein Thema loslassen, um zu schauen, wie das ankommt.“ Zu seinen Ideen gelange er nicht unvermittelt, vielmehr interessengeleitet. Oft stoße er Monate oder gar Jahre später auf alte Recherchen, und erst nach einer gewissen Zeit verdichte sich ein Thema zu einer konkreten Idee. Auf seinem Rechner sind demnach unzählige begonnene Dateien. Die Entscheidung, welches sein nächstes Buchthema werde, entstehe dann „meist spontan, aber [eben] nicht unvorbereitet.“ In seinem nächsten Buch widme er sich beispielsweise der Frage, ob Kunst noch ein eindeutiger Begriff sei, oder die Verbindungen mit weiteren Bereichen bereits so dominant seien, dass eine Betrachtung des Gesamtzusammenhanges unabdingbar sei. Wie seine Werke an den Universitäten ankommen, ob sich auch Studierende damit auseinander setzen und wie wichtig die eigenen Werke im universitären sowie kunsthistorischen Diskurs sind, das entziehe sich meist seiner Kenntnis. Allein bei Vorträgen erhält er konkretes Feedback. Demnach musste er lernen, mit Kritik umzugehen. „Es gibt Leute, die nach dem Vortrag kommen und sagen: Die früheren Bücher waren alle toll, aber das letzte gefiel mir gar nicht.“ Ullrich rät Studierenden:„Man sollte Kritik natürlich ernst nehmen, und oft kann man ja auch was draus lernen. Aber man sollte sich auf keinen Fall einschüchtern lassen davon.

Im Hinblick auf Schreibblockaden berichtet er von seiner Doktorarbeit, die er im Wesentlichen in Briefen an eine Freundin schrieb, die sich damals mit einem vergleichbaren Thema beschäftigte. „Damit habe ich die Hemmschwelle überwunden, etwas endgültig Richtiges und Taugliches zu formulieren.“ Es sei besser, kleiner anzufangen und ohne Weiteres drauf los zu schreiben, um seine Gedanken zu sortieren und sich die Angst vor dem leeren Blatt zu nehmen. Motivation finde er in der Idee, dass letztlich das Produkt des Denkens nicht die unumstößliche Wahrheit sei, sondern lediglich eine augenblickliche Einsicht, die einem steten Wandel unterlegen sei. „Alles, was man tut, ist sehr vorläufig und relativ. Aber gerade das kann ja wieder das Reizvolle daran sein.“ Die daraus resultierende Freiheit, sich stets auf die Suche nach neuen Themen zu begeben, mache ihm Spaß.


Neben seinem beruflichen Werdegang haben wir mit Ullrich über Soziale Medien und deren Einwirkung auf den Kunstsektor gesprochen. Mit Ende seiner Professur begann er einen eigenen Blog, um präsent zu bleiben und seine aktuellen Projekte und Themen einem breiteren Publikum zu kommunizieren. Auf diese Weise erhielt er bereits den ein oder anderen Auftrag. Überdies nutzt er den Kurznachrichtendienst Twitter. Zunächst zu Recherchezwecken, seit 2015 ergänzend zu seinem Blog. „Das, was in Sozialen Medien passiert, ist ja so gewaltig und hat so eine Dynamik und Vielfalt. Da hat man ja jeden Tag das Gefühl, man ist hinten dran und kommt überhaupt nicht mit.“ Auch der Einfluss Sozialer Medien auf jedwede Bereiche der Kunstwelt vergrößere sich zunehmend. Künstler*innen nutzen neue Kanäle, es entstehen neue Märkte, Zielgruppen, Produktformen und ein neues Verständnis von Kunst; „und das wesentlich getrieben durch neue Medien.“ Ullrich spricht in diesem Zusammenhang von einer Demokratisierung des Kunstbetriebs. „Viele Strukturen, die sehr exklusiv waren, in denen kleine Eliten sehr viel entschieden haben, bekommen dadurch ein Gegengewicht, und vielleicht löst sich damit manche alte Struktur mittelfristig sogar ganz auf.“ Die Darstellung von Kunst auf den Sozialen Medien würde gleich der Darstellung anderer Objekte gehandhabt. Eine Differenzierung sei auf den ersten Blick nicht mehr fassbar. „Alte institutionelle Zugehörigkeiten lösen sich auf.“ Es scheine ein fundamentaler Wandel im Gange zu sein. 

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Wir bedanken uns herzlich bei Wolfgang Ullrich für seine Zeit, das spannende Gespräch und freuen uns auf seine voraussichtliche Bucherscheinung 2022 und zukünftige Erkenntnisse! 

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- Hannah Steinmetz, veröffentlicht am 29. Januar 2021

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