

Dr. Lisa Zeitz
Chefredakteurin der Weltkunst und
von Kunst und Auktionen

Mit dem Traum, an einem amerikanischen Museum zu arbeiten, kam Lisa Zeitz, heute Chefredakteurin der Weltkunst und von Kunst und Auktionen, Anfang der 2000er Jahre nach New York. Dass sie die Stadt zehn Jahre später als Journalistin verlassen würde, das hätte sie damals nicht gedacht. Über welche Wege Zeitz zum Journalismus kam und wie sie 2012 Chefredakteurin einer der großen deutschen Kunstzeitschriften wurde? Fangen wir von vorne an:
© Weltkunst
Das Abitur in der Tasche, wusste Zeitz zunächst nicht genau, welchen Weg sie einschlagen wollte. Bereits als Kind habe sie viel gemalt und gerne Museen besucht. Von ihrer Idee, Künstlerin zu werden, war sie jedoch nicht recht überzeugt. So empfand sie Kunstgeschichte vorläufig als einen guten Kompromiss. „Erst dachte ich, das wäre ein guter Anfang, und dann könnte sich ein anderes Studienfach ergeben. Aber es hat mich gleich gepackt und nicht mehr losgelassen.“ Sie begann ihr Studium zunächst in Freiburg. Nach zwei Jahren nahm sie die Gelegenheit wahr, mit Erasmus für ein Jahr in Florenz zu studieren – ein Auslandsjahr mit Erasmus empfiehlt sie allen Studierenden. Anschließend studierte sie in München weiter, auch um weiterhin in der Nähe Italiens zu leben.
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Das Mantra ihres dortigen Professors Bernhard Schütz sei gewesen: „Jeder vernünftige Kunsthistoriker muss mindestens einmal im Jahr nach Rom.“ Zeitz wollte diesen Rat gerne beherzigen. Aber, „wer kann sich das leisten, dauernd nach Rom zu reisen?!“ Um dieses Dilemma zu lösen, wurde sie neben dem Studium Reiseleiterin bei dem Veranstalter Studiosos, was ihr ermöglichte, mehrmals im Jahr in die Ewige Stadt zu reisen. Führungen durch Museen oder Städte zu machen oder sich in der Reiseleitung auszuprobieren, nennt sie eine empfehlenswerte Erfahrung für alle Studierenden der Kunstgeschichte: „Es ist die direkteste Art der Kunstvermittlung.“ Man sehe sofort, wie Menschen auf das Erzählte reagieren, welche Fragen aufkommen und welche Erklärungen einleuchten. Auch lerne man, theoretische Konzepte mit praktischen Lebensfragen zu verbinden.
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Nach dem Magister absolvierte Zeitz verschiedene Praktika, bevor sie sich ihrer Promotion zuwandte. „Vom ersten Semester an hatte ich vor, in Kunstgeschichte zu promovieren.“ Da Kunstgeschichte allein keinen konkreten Beruf impliziere, war für sie die Promotion eine Art Absicherung. Zudem genoss sie ihr Studium: „Wenn ich lange studieren will, dann muss am Ende der Doktor rauskommen.“ Auf ihr Thema kam sie im Zuge ihrer Magisterarbeit zu Tizian und dem Manierismus. Hierbei stieß sie auf die heute großteils verschollene Tizian-Sammlung des Mantuaner Herzogs Federico Gonzaga, die sie zu rekonstruieren versuchte. Für Recherchen war Zeitz für mehrere Monate in Venedig, der Heimatstadt des Malers, was ihr Stipendien des dortigen Deutschen Studienzentrums im Palazzo Barbarigo della Terrazza ermöglichten. Zudem arbeitete sie weiter als Reiseleiterin. Hier traute man ihr mittlerweile größere Reisen zu, darunter eine 23-tägige USA-Reise. „Wenn man die zwei Mal hintereinander leitet, dann hat man sich ein Semester finanziert.“
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Hinsichtlich ihrer Themenwahl ‚Tizian‘ würde sie Studierenden heute raten, nicht unbedingt einen so berühmten Maler zu wählen. „Die unendliche Sekundärliteratur, die man durchforsten muss, bevor man mal selbst etwas formuliert… und dann weiß man immer noch nicht: ‚Ist das jetzt ein origineller Gedanke oder haben schon drei andere dasselbe geschrieben?’“ Viel spreche dafür, ein Thema oder eine Nische zu suchen, über das noch nicht so viel geschrieben wurde. Auf diesen weniger abgegrasten Feldern könne man selbst noch viel entdecken und habe dem Fach damit auch mehr Neues zu bieten. „Wenden Sie sich an die Museen und Archive – vielleicht finden Sie dort Nachlässe von Künstlerinnen und Künstlern, die noch nicht publiziert sind und auf die Bearbeitung warten."
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Nach ihrer Promotion hatte Zeitz zwei schwer vereinbare Ziele. Sie wollte nach New York und sie wollte am liebsten in einem Museum arbeiten. Bereits während ihres Studiums hatte sie in diesem Bereich diverse Praktika gemacht, unter anderem im Frankfurter Museum für Moderne Kunst und im New Yorker Guggenheim Museum. „Nach der Promotion hatte ich die naive Vorstellung, dass die frisch erlangte Doktorwürde mir den Weg zu einer Festanstellung in einem New Yorker Museum ebnen würden.“ Der Doktortitel mache in den USA allerdings keinen allzu großen Eindruck, vor allem wenn man keine Arbeitserlaubnis habe. Diese fehlte ihr aber. Ein Teufelskreis: Ohne Job keine Arbeitserlaubnis, ohne Arbeitserlaubnis kein Job. Es war eine schwierige Zeit: „Ich war inzwischen 29 und ich hatte keinen Job, kein Geld, keine Wohnung und keine Aufenthaltsgenehmigung für länger als drei Monate.“ Zwischendurch arbeitete sie für das Goethe-Institut in München, pendelte aber zwischen den Kontinenten und kehrte immer wieder nach New York zurück.
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Als sie uns davon erzählt, legt sie uns nahe, aus ihrer Situation zu lernen: „Ich habe mich während der Jahre meiner Promotion zu sehr auf die Doktorarbeit konzentriert. Ich habe mich nur damit beschäftigt – und das ist ein Fehler!“ Ihr Rat ist, sich im Studium bereits konkret zu überlegen, wo man hinwill, und im Hinblick darauf Kontakte zu knüpfen und Beziehungen mit Institutionen zu pflegen.
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In New York kam für Zeitz schließlich alles anders. Anstatt in der Museumswelt Fuß zu fassen, konnte sie zunächst in der Galerie Achim Moeller Fine Arts am Werkverzeichnis von Lyonel Feininger mitarbeiten und bekam schließlich eine feste Stelle im Art Department der AXA Art Insurance, wo sie für zwei Jahre arbeitete. Als eine Bekannte sie außerdem als Kunstmarkt-Korrespondentin für die Frankfurter Allgemeine Zeitung empfahl, machte sie sich nach Arbeitsschluss um 17 Uhr jeden Tag in die Galerien und Museen auf. „Das war toll: Tagsüber die Kunstversicherung und um Fünf bin ich Journalistin geworden.“ Zeitz hatte zuvor nie journalistisch gearbeitet. Sie sei damals ziemlich ins kalte Wasser gesprungen, und vielleicht hätten ihre Texte zu Beginn etwas hölzern und akademisch geklungen. Aber mit der Zeit finde man einen eigenen Stil.
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Um nur nicht das romantische Bild einer Carry Bradshaw zu vermitteln, erzählt sie uns, dass die Journalist*innenhonorare nicht so hoch wären, dass man sich davon allein das Leben in New York finanzieren könnte. Mit ihrem Mann, dem Künstler Christoph Niemann, und der wachsenden Familie – ihre drei Söhne sind in New York geboren – zog sie nach Brooklyn. Der Stelle bei der Axa Art Insurance folgten zwei Jahre als New York-Repräsentantin des Auktionshauses Villa Grisebach. Ein Blick hinter die Kulissen des Kunstmarkts: Zu den Aufgaben gehörte die Akquise von Kunstwerken für die Auktionen in Berlin, aber auch der Verkauf: „Man ist einerseits mit den Käufern in Kontakt, andererseits mit den Verkäufern.“ Es gebe in den USA viele Sammler*innen zum Beispiel mit Kollektionen von Werken des deutschen Expressionismus. Diese Kontakte von New York bis Los Angeles zu pflegen, Werke zur Auktion in Berlin einzuliefern, aber auch Käufer für die zur Versteigerung anstehenden Werke zu finden, gehörte zu den Aufgaben. Zeitz resümiert über diese Zeit: „Das hat mir einen sehr guten Einblick in den Kunstmarkt gegeben, den ich vorher noch nicht hatte.“ Während ihrer Zeit bei Grisebach pausierte ihr Schreiben für die FAZ. Man könne nicht gleichzeitig im Kunstmarkt tätig sein und kritisch darüber berichten.
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Mit dem Wachsen der Familie wurde jedoch klar, dass sich die freie journalistische Arbeit besser mit kleinen Kindern vereinbaren ließ als das Auktionsgeschäft. So entschied sie sich, zum Journalismus zurückzukehren. Für die nächsten Jahre arbeitete sie wieder als Kunstmarkt-Korrespondentin der FAZ. „Es ist schön, als junge Mutter das Berufsleben nicht ganz abzuschneiden, sondern weiter machen zu können.“ Sie erinnert sich an große Auktionen bei Christie’s und Sotheby’s, über die sie für die FAZ berichtete, während sie ein Baby in der Trage bei sich hatte. Zeitgleich begann sie, Bücher zu schreiben: ein Forschungsprojekt über Napoleons Medaillen gemeinsam mit ihrem Vater, das später mit dem Grand Prix der Fondation Napoleon ausgezeichnet wurde, und ein weiteres über den Psychoanalytiker Werner Muensterberger, der sich in seiner Praxis auf Sammler*innen und die Psyche von Fälschern spezialisiert hatte.
2010 zog sie mit ihrer Familie von New York nach Berlin. Hier erhielt sie die Anfrage, sich auf die Stelle der neuen Chefredaktion der monatlich erscheinenden Zeitschrift Weltkunst und der dazu gehörigen Kunst und Auktionen zu bewerben. „Eigentlich hatte ich gerade gar keine Zeit dafür,“ sagt sie, denn sie hatte nur noch wenige Monate bis zur Deadline für das Buch über Muensterberger. „Aber wenn so eine Anfrage kommt, kann man schlecht nein sagen. So eine Chance kommt nicht so schnell wieder.“ Deshalb bewarb sie sich. Was die Journalistin von ihren Mitbewerber*innen abhob? Sie habe ein breit aufgestelltes Profil: Sie hatte Erfahrung mit dem Schreiben. Durch ihre Tätigkeiten in New York kannte sie sich gut im internationalen Kunstmarkt und mit zeitgenössischer Kunst aus, ihre Dissertation zu Tizian beweist gleichzeitig ihre Kenntnisse der älteren Kunstgeschichte. Außerdem ziehe sich das Sammeln, ein Schwerpunkt der Weltkunst, thematisch durch ihren Lebenslauf – von den Sammlungen Gonzagas und Napoleons bis hin zu den Sammler*innen bei Grisebach und dem Fokus des Psychoanalytikers Werner Muensterberger. „Es kam mir immer so bunt und durcheinander vor, aber bei der Weltkunst hat alles gut zusammengepasst.“
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Trotz ihrer langjährigen Erfahrung als Journalistin war die Position Neuland für sie. „Meine erste Redaktionskonferenz als Chefredakteurin war meine erste Redaktionskonferenz überhaupt.“ Als Korrespondentin habe sie alles nur aus der Ferne mitbekommen. Ihre Aufgaben als Chefredakteurin beinhalten dabei viel mehr als das Schreiben. Sie habe ein Team von insgesamt zwölf tollen Redakteur*innen mit unendlich vielen Ideen. „Eigentlich ist das Problem immer, dass wir viel zu viele Geschichten haben.“ Interviews, Atelierbesuche, Bildstrecken, Reiseformate, ein Sammlerseminar, Überblicke in das aktuelle Kunsthandel-, Auktions- sowie Ausstellungsgeschehen. Zu entscheiden, was am Ende ins Heft kommt, sei eine ihrer Aufgaben. „Natürlich ist es auch viel: Meetings, Konferenzen, Kleinorganisation.“ Und nach Beendigung des einen Hefts winke schon das nächste. 14 Ausgaben Weltkunst und 20 Hefte Kunst und Auktionen entstehen jährlich unter ihrer Aufsicht.
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Doch das Weltkunst-Universum umfasst mehr als nur Print-Formate. „Chefredakteurin sein, heißt ja heutzutage nicht nur ein gedrucktes Heft machen.“ Gleichzeitig verantwortet sie zwei Newsletter-Formate sowie ein Interviewpodcast mit Persönlichkeiten wie Alicja Kwade, Monika Grütters, Jonathan Meese oder Max Hollein. Vor Corona gab es jeden Monat Moderationen und Künstler*innentalks, daneben andere Weltkunst-Events wie einen Salon oder, zusammen mit dem ZEITmagazin, die Kunstkonferenz Unlock Art auf der Art Cologne. Man kann nur erahnen, wie voll ein Tag im Leben von Zeitz wohl ist. „Man ist ständig mit Produktion beschäftigt.“ Sie fügt hinzu: „Das ist toll, ich mag das Tempo im Journalismus!“ Was sie besonders an ihrem Job liebe? „Die Vielfalt. Ich mag das ganze Spektrum der Kunstgeschichte. Ich lerne ständig etwas dazu, ich arbeite ständig mit interessanten Leuten zusammen. Das ist beflügelnd“
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Um Überblick über den Kunstmarkt zu behalten, besucht sie so oft wie möglich Galerien und Messen, Ateliers und Sammlungen und informiert sich über Auktionen, durch Kataloge, Vorschauen und natürlich im Internet. Ansonsten lese sie natürlich andere Zeitungen, Magazine und Newsletter und tausche sich mit unterschiedlichen Personen in der Branche aus. „Es ist wichtig, dass man nicht alles nur aus dem geschriebenen Wort entnimmt.“ Hierfür sei es von großer Bedeutung, Kontakte zu haben und diese zu pflegen. Wie sehr man davon profitiere, merke sie immer wieder. „Am Netzwerk wird man immer weiterarbeiten, man wird auch daran gemessen.“
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Wir haben Zeitz gefragt, was wichtig im Journalismus sei. „Man braucht Nerven wie Drahtseile, muss Deadlines einhalten und Textlängen bedienen können. Vielleicht wäre das eine gute Übung: Schreiben Sie einen Text von 10.000 Zeichen. Jetzt kürzen Sie ihn auf 5000. Und dann machen Sie 12.000 Zeichen daraus. Flexibilität und Präzision sind gefragt.“ Um Fuß zu fassen, empfiehlt sie: Ganz einfach schreiben, sich in verschiedenen Formaten ausprobieren, die Fühler ausstrecken, Kontakte aufbauen. „Es ist wichtig, dass man sich vor Publikum begibt.“ Auch das Reden und Präsentieren sei ein Teil davon. Denn: „Journalismus ist heute nicht mehr nur noch das geschriebene Wort.“ Das Internet biete vielfältige Möglichkeiten und Zeitz sehe viele neue experimentelle Formate in der Zukunft auf den Journalismus zukommen.
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Ihr letzter Tipp für angehende Journalisten? „Kill your darlings!“ Oft stünden einem flüssigen Text genau die Passagen im Weg, an denen man besonders hänge.
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In diesem Sinne wurde der letzte Absatz nun gestrichen und wir danken Lisa Zeitz für ihre Zeit und das gewinnbringende Gespräch!
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- Valentina Bay, veröffentlicht am 12. März 2021
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