top of page

Franziska Stöhr
Kuratorin

Man muss sich ganz klar vor Augen halten: Es ist ein langer Weg ohne Garantie, dass man dort landet, wo man landen will. Umso wichtiger ist, dass man offenbleibt. Manchmal weist einem der Zufall genau den richtigen Weg.


Franziska Stöhr hat auf ihrem Weg diverse Stationen durchlaufen und ihr Ziel dabei nie aus den Augen verloren. Heute ist sie als Kuratorin an der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München in ihrem Traumjob angekommen.

Franziska Stoehr.jpg

©️ D. Davies

Dabei stand für Stöhr nach dem Abitur noch nicht fest, was sie einmal beruflich machen wollte. Deshalb absolvierte sie zunächst Praktika in verschiedensten Feldern. Neben einiger Zeit am Max-Planck-Institut im Bereich Psychologie und bei einer Grafikagentur ging Stöhr zu der 1993 gegründeten Sammlung Goetz in München, deren Schwerpunkt auf zeitgenössischer Kunst liegt. Hier wurde ihr Interesse für die Museumsarbeit geweckt.     
Auf der Suche nach einem geeigneten Studium entdeckte sie die Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Diese mit etwa 400 Studierenden eher kleine Hochschule habe aus ihrer Sicht den Vorteil geboten, dass sie „in der Nachfolge des Bauhauses Theorie und Praxis zusammenbringt.“     
2005 nahm Stöhr dort ein Studium der Kunstwissenschaft, Philosophie und kuratorischen Praxis auf. Da es sich hierbei ursprünglich um einen Aufbaustudiengang handelte, der nun auch für Erstsemester geöffnet worden war, fehlten Einführungsseminare und Vorlesungen. So kam es zu einer Kooperation mit der Universität in Heidelberg. „Die Kurse dort waren für mich eine klassische Kunstgeschichtsergänzung.“    
Darüber hinaus beschloss Stöhr, für ein Semester ins Ausland zu gehen. Zu diesem Zeitpunkt habe es wenige europäische Institute gegeben, deren Lehre die zeitgenössische Kunst fokussierte. Da Stöhr diese jedoch wichtig gewesen sei, kamen am Ende London und Bern in die engere Auswahl. London bot damals lediglich ein einjähriges Austauschprogramm an, was ihr, aufgrund ihres bereits vorangeschrittenen Studiums, zu lang gewesen sei. Daher fiel die endgültige Entscheidung auf Bern. „Natürlich ist Bern kein komplett fremdsprachiges Ausland“, doch die Lehre dort interessierte sie sehr, sodass es letztlich eine fachliche Entscheidung war.

 

Um auch danach weitere Auslandserfahrung zu sammeln, sprach sie ihren damaligen Karlsruher Professor Wolfgang Ullrich an. „Ich habe zu ihm einfach gesagt: Ich würde gerne noch einmal ein Praktikum in London machen.“ Ullrich stellte daraufhin den Kontakt zu Andreas Gegner, Senior Director der Londoner Dependance der Galerie Sprüth Magers, her. Stöhr bewarb sich, wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen und erhielt die Praktikumsstelle. „Ich bin sicher, dass das Galeriewesen sehr spannend sein kann, wenn man selbst eine Galerie aufbaut und das Programm gestalten kann“, sagt sie im Rückblick. Sich selbst sah sie in diesem Bereich jedoch nicht. Ihr Wunsch, mit zeitgenössischer Kunst zu arbeiten, blieb davon unbeeinträchtigt: Sie schätze die unentwegte Auseinandersetzung mit dieser und die Möglichkeit, mit den Künstler*innen über ihre Arbeiten zu diskutieren. Im Hinblick auf Auslandsaufenthalte ist Stöhr bis heute positiv gestimmt, weil sie die Chance bieten, neue Leute, fremde Länder, Sprachen und unterschiedliche methodische Ansätze kennenzulernen. Noch heute profitiere sie von dem Netzwerk, das sie während des Studiums, aber auch während ihrer Dissertation, im Ausland aufgebaut habe.    
Überdies absolvierte Stöhr während des Studiums weitere Praktika; eine Vorgehensweise, die sie als „extrem wichtig“ erachtet, „weil man nur so einen Einblick in die Berufspraxis bekommt.“ Dabei empfehle sie, gezielt zu schauen, welche Institutionen für einen selbst interessant seien. In kleineren Häusern bekomme man beispielsweise einen breiteren Einblick in die verschiedenen Bereiche. Aufgrund ihres Wunsches, im Museum zu arbeiten, waren ihre eigenen Praktika fast ausschließlich im Ausstellungswesen angesiedelt, um dort bereits frühzeitig Erfahrungen zu sammeln und Kontakte aufzubauen.


Mit dem Ziel, Kuratorin zu werden, begann Stöhr nach dem Ende ihres Studiums ihre Dissertation: „[…] in Deutschland [ist es] nach wie vor sehr gängig [..], dass man eine Promotion für eine Kurator*innenstelle braucht.“ Anders als in ihrer Magisterarbeit wollte sie sich ursprünglich thematisch nicht mit Film- und Videoloops auseinandersetzen. Damals habe sie über erzählerische Strategien in Videoloops anhand dreier Beispiele von Theresa Hubbard und Alexander Birchler, Johan Grimonprez und Stan Douglas geschrieben. „Der Loop hat eine zirkuläre Erzählstrategie, in die man jederzeit ein- und aussteigen kann. Das widerstrebt zunächst unserer gängigen Rezeption von Erzählungen, wie wir sie aus dem Film kennen. Mich hat interessiert, wie das die Möglichkeiten der Erzählung verändert.“ Nach vier Monaten intensiver Recherche entschied sie sich jedoch dazu, das Thema in ihrer Dissertation von Grund auf und in einem wesentlich größeren Kontext aufzuarbeiten, „weil es dazu nichts Umfassendes gab.“ Und so schrieb sie die erste grundlegende Arbeit über die Geschichte von Film- und Videoloops im Zusammenspiel von Kunst-, Technik- und Ausstellungsgeschichte. „Grundlagenforschung hat auch, strategisch gesagt, bessere Chancen auf Förderung als wenn man über ein Thema schreibt, zu dem bereits Grundlegendes publiziert wurde.“ 

 

Zudem habe sie durch ihre Vorarbeit sogleich das Exposé für den Förderungsantrag schreiben können, für das sie schließlich ein dreijähriges Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes erhielt. „Ich würde jedem empfehlen, sich um ein Stipendium zu bemühen, denn in entscheidenden Phasen der Dissertation kann man sich konzentriert zurückziehen.“ Bedenken, dass man dadurch sein berufliches Netzwerk vernachlässigen könnte, weist Stöhr mit Bestimmtheit zurück:„Im Endeffekt ist heute alles miteinander verbindbar. Und natürlich sind auch die Stiftungen gute Netzwerkmöglichkeiten.“ Neben der Doktorarbeit durfte sie fünf Stunden die Woche parallel für andere Projekte arbeiten. Zudem bestand die Möglichkeit, die Förderung für ein halbes Jahr zu unterbrechen. Dies tat Stöhr, als sie in München für Kino der Kunst tätig wurde, „weil da klar war: Das wird eine Vollzeitstelle für eine bestimmte Zeit.“ Kino der Kunst ist ein 2012 gegründetes Kunstfilmfestival, das als Biennale stattfindet. „Das war extrem intensiv, weil wir alles neu aufbauen mussten.“ Die Arbeit, ein ganzes Festival in einer Stadt strukturell neu zu verankern, sei wegen des kleinen Teams sehr aufwändig gewesen. Stöhr leitete bei der ersten Ausgabe die Redaktion, zwei Jahre später übernahm sie diese Aufgabe erneut und war zudem als Kuratorin für das Festival tätig. Natürlich bestehe die Gefahr, dass man sich nach einem Vollzeitjob wie diesem letztlich doch gegen eine Dissertation entscheide. Da das Festival jedoch zeitlich begrenzt war, konnte Stöhr ihre Dissertation zwischen der ersten und zweiten Ausgabe abschließen.     
Auch unabhängig von ihrem Berufswunsch sagt Stöhr noch heute über das Projekt Dissertation:„Ich würde es immer wieder machen.“ Man eigne sich Qualifikationen an, die in jedem Berufsalltag angewendet werden können - vorausgesetzt, selbstverständlich, man arbeite gerne wissenschaftlich und bringe eine gewisse Selbstdisziplin mit. „Man sollte sich vorher überlegen: Wofür brauche ich diese Promotion?“ Bei der beruflichen Orientierung mittels Praktika könne man beispielsweise direkt prüfen, ob in dem entsprechenden Bereich eine Promotion erforderlich sei. Durch ihr mittlerweile weit verzweigtes Netzwerk erhielt Stöhr verschiedene anderweitige Jobangebote. „Ich empfehle selbstständige Tätigkeiten nebenher. Einerseits erweitert man das Netzwerk, andererseits baut man sich eine eigene Berufspraxis auf.“ So habe sie beispielsweise die Organisation der Gesprächsreihe Subjektiv. Sprechen über Film in der Pinakothek der Moderne übernommen, war als Kuratorin im Münchner Kreativquartier und am Neuen Museum – Staatliches Museum für Kunst und Design Nürnberg tätig und hatte Lehraufträge in München, Karlsruhe und Freiburg. Die Lehraufträge, die als Kooperation zwischen der Hochschule für Fernsehen und Film München und der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe stattfanden, waren für Stöhr aufgrund ihrer Interdisziplinarität und der unterschiedlichen Perspektiven der Studierenden verschiedener Fächer ein großer Gewinn. Unabhängig von den zu behandelnden Themen wollte sie ihren Studierenden immer vermitteln, „dass man sich wirklich überlegt: Was möchte ich machen und was sind die Dinge, für die ich brenne? […] Denn dafür nimmt Arbeit heute einen zu großen Teil des Lebens ein, als dass man keinen Spaß dabei haben sollte.“ Entsprechend rate sie allen, die in ihrer beruflichen Situation unglücklich seien, in sich rein zu hören und neue, andere Wege zu wagen.


2016 entschied Stöhr sich für ein zweijähriges wissenschaftliches Volontariat bei den Bayerischen Sammlungen und Museen. Ihr Spezialgebiet war damals zwar Film- und Videokunst, aber:„Ich wollte mich fachlich breiter aufstellen und durch ein Volontariat auch die Chancen auf eine Stelle im Museum erhöhen.“ Letztlich war es eine strategische Überlegung. Sie lernte viel und erhielt neue Einblicke in die Museumsarbeit. Innerhalb der zwei Jahre durchlief sie drei Stationen: am Neuen Museum – Staatliches Museum für Kunst und Design Nürnberg, an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen (Museum Brandhorst und Pinakothek der Moderne) sowie an der Staatlichen Graphischen Sammlung München. Auch hierbei habe ihr die interdisziplinäre Betrachtung am besten gefallen. Trotz der vielfältigen Erfahrungen, die sie in dieser Zeit gesammelt habe, würde sie ein Volontariat nur dann weiterempfehlen, „wenn es ein ganz klarer Berufswunsch ist“, auch zukünftig im kuratorischen Bereich im Museum zu arbeiten. 


Während des Volontariats bewarb sich Stöhr um das Juliane-und-Franz-Roh-Stipendium am Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI) in München. Das Stipendium richtet sich an Doktorand*innen oder Postdoktorand*innen, wie Stöhr, die an einem Forschungsvorhaben zur Kunst im 20. bis 21. Jahrhundert arbeiten. Stöhr recherchierte zu dieser Zeit im Bereich soziale Utopien. Wir haben sie gefragt, wie man am sinnvollsten vorgehen solle, wenn man ein Bewerbungsexposé für ein derartiges Stipendium verfasse. „Man muss immer die Relevanz deutlich machen.“ Warum bearbeite man genau dieses Thema? Warum sei dies förderungswürdig? Das Stipendium erhielt sie für sechs Monate, in denen sie halbtags forschte, weil sie parallel dazu noch an der Staatlichen Graphischen Sammlung München tätig war. „Das ist im selben Gebäude und war deshalb leicht zu vereinen”, sagt sie lachend. Die Zeit am ZI habe ihr sehr gefallen:„Das Institut und seine Bibliothek sind ein großartiger Ort zum Arbeiten.“ Mithilfe des Stipendiums konnte sie ihr Projekt so umsetzen, dass dieses letztlich in der Ausstellung Was, wenn …? Zum Utopischen in Kunst, Architektur und Design im Neuen Museum – Staatliches Museum für Kunst und Design in Nürnberg mündete.     

Kurz danach erhielt Stöhr die Chance auf eine für sechs Monate befristete Stelle als Schwangerschaftsvertretung bei der Hypo-Kulturstiftung, bei der sie co-kuratorisch an der Ausstellung Lust der Täuschung mitwirkte. Aus diesem Kontakt entwickelte sich 2020 eine Festanstellung als Kuratorin. Ihre Aufgaben seien vielfältig, genauso, wie sie es mag. „Man hat eine organisatorische Routine, aber es wird nie langweilig, weil man sich immer mit neuen Inhalten auseinandersetzt.“ Sie bereite Ausstellungen vor, recherchiere viel, kümmere sich um die Verwaltung und Organisation, behalte das Budget im Auge, plane die konkrete Gestaltung einer Ausstellung und des Kataloges und sei mitverantwortlich für Ideen, um neue Zielgruppen zu erreichen. „Das ist sicher auch die größte Herausforderung: Immer am Puls der Zeit zu bleiben und zu reflektieren, was gesellschaftlich wichtige Themen sind. Denn grundsätzlich geht es bei einer Ausstellung auch immer darum, zu fragen: Warum zeigen wir die gerade jetzt?“ Auch wenn ihr Job von Zeit zu Zeit stressig sei, so sei der Moment, in dem eine Ausstellung fertig werde, für Stöhr die Mühe wert:„Ich finde der Ausstellungsaufbau ist eigentlich immer der großartigste Moment, wenn sozusagen die ganze Arbeit zusammenkommt, die Kunstwerke ins Haus kommen und im Idealfall auch noch viele Künstler*innen, mit denen man zusammengearbeitet hat.“ Bis heute ist sie sich sicher, dass sie ihren Traumjob gefunden hat.    

Wir bedanken uns ganz herzlich bei Franziska Stöhr und sind uns sicher, dass sie ihr Ziel, „die Kunst den Menschen näher zu bringen und gerade auch durch einen intensiven Austausch bei ihnen die Lust zu wecken, sich mit Kunst auseinanderzusetzen“ schon jetzt erreicht hat.

- Hannah Steinmetz, veröffentlicht am 04. Februar 2022

bottom of page