

Dr. Martin Hoernes
Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung, Berlin
Seit 2014 ist Dr. Martin Hoernes Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung in Berlin. Über seinen Weg dorthin, seine unterschiedlichen Tätigkeiten und Erfahrungen als Kunsthistoriker hat er uns in einem ausführlichen Gespräch erzählt.

©Tatyana Kronbichler
Als Kind wollte Hoernes eigentlich Paläontologe werden. Nach Schule, Bund und einem Italienisch-Sprachkurs entschied er sich dann jedoch zunächst für ein Studium der Archäologie und Geschichte an der Universität Regensburg. Dabei merkte er schnell, dass ihm die Kunstgeschichte mehr lag und wechselte nach zwei Semestern. Wenn man merke, dass einem das Studienfach nicht liegt oder das eigene Herz für etwas anderes schlägt, solle man in jedem Fall wechseln.
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Parallel zu seinem Studium arbeitete er im Stadtarchiv Regensburg. An den Job war er durch den persönlichen Kontakt zu einem Professor gekommen, der ihn an das Stadtarchiv vermittelte: „Das ist natürlich goldwert: Einen richtigen Job zu haben, noch dazu mit Tätigkeiten, die man brauchen kann.“ Von dem, was er dort gelernt habe, etwa der Umgang mit historischen Dokumenten, habe er sein ganzes Studium und darüber hinaus profitiert.
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Während seines Studiums war Hoernes zudem für ein Jahr an der Universität La Sapienza in Rom, wobei er sich damals nicht nur aus studienstrategischen Gründen dazu entschied: „Es ist immer auch so: Das eine ist Karriereplanung, das andere ist die persönliche Entwicklung.“ Er verbrachte seine Zeit vor allem in römischen Archiven, der Bibliotheca Hertziana und mit dem Erkunden der zahlreichen römischen Kunstinstitutionen. „Dass man sich überhaupt ein Jahr lang im Ausland durchkämpft, das ist auf jeden Fall wertvoll. Das sollte jeder machen.“ Da es damals für sein Studienfach noch kein Erasmus gab, finanzierte er sich die Zeit übrigens durch einen Au-pair-Job.
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Für Hoernes sei während des Studiums immer klar gewesen, dass er gerne in die Forschung möchte. Daher habe eine Dissertation schnell festgestanden; im Gegenteil zu ihrem Thema. Seine ursprüngliche Idee zu mittelalterlichen Gewölbebasiliken in Italien stellte sich nach ersten Recherchen als zu umfangreich heraus. Es sei ein Thema gewesen, „an dem man gescheitert wäre.“ Daher entschied er gemeinsam mit seinem Professor, alternativ das Thema seiner Magisterarbeit über die mittelalterlichen Hauskapellen der Patrizierfamilien in Regensburg innerhalb der Dissertation auf eine deutschlandweite Betrachtung auszuweiten. Die Arbeit daran sei enorm spannend gewesen, da Hoernes mit Architektur und Archivalien vor Ort arbeiten konnte. Ob es sinnvoll sei, sein Abschlussarbeitsthema für die Dissertation zu verwenden? Das liege natürlich am Thema selbst. Wenn man so vorgehen wolle, sei es sicher ratsam, in der Abschlussarbeit zunächst die Grundlagen für ein Thema zu legen und in der Dissertation dieses dann einzuschränken oder auszubauen. Wolle man seine fachlich breite Aufstellung unter Beweis stellen, würden sich hingegen unterschiedliche Themen anbieten. Aber Hoernes betont auch:
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„Man steckt so viel Zeit in Magister und Dissertation. Man sollte beim Thema nicht unbedingt nur strategisch entscheiden, sondern auch, wo hat man am meisten Spaß. Weil, wenn man keinen Spaß an der Forschung hat und an den Dingen, die man da macht und rauskriegt, dann ist es eine zu lange Zeit.“
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Deshalb entgegnet er auf unsere Frage, wann eine Dissertation sinnvoll ist, ebenfalls: „Nicht […], wenn man sich quält.“ Schließlich sei es auch eine mentale Sache. Zudem benötige man ein gewisses Maß Pragmatismus, damit Recherchen und Forschung nicht ins Unendliche ausarten.
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„Mir hat mein Prof gesagt: ‚Die Diss wird mit Hintern geschrieben.‘ Das heißt, man muss einfach auch wirklich sitzen und das Ding runterschreiben. […] Es reicht nicht, wenn man genial ist und immer alles kritisiert und sich überall auskennt.“
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Am Ende ginge es darum, seine eigenen Forschungsergebnisse vor und zur Diskussion zu stellen. Darüber hinaus sei es nur ein weiterer Schritt zum eigentlichen Beruf.
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Wie lange man an einer Dissertation arbeite, hänge vor allem von den eigenen Finanzierungsmöglichkeiten ab. Hoernes hatte damals ein Stipendium und arbeitete nebenher als Inventarisator im Historischen Museum Regensburg, woraus er bis heute profitiere. Denn danach hätte er gewusst, wie die Institution Museum funktioniere. Diese Art Zweiteilung würde er jedem ans Herz legen. „Das ist, glaube ich, das wichtige: Dass man da arbeitet, wo sich Forschung oder das bewegt, was man mal zukünftig in seinem Fach auch machen will.“ Wie man diese Zweiteilung sinnvoll gestalte, das hänge immer mit den persönlichen und finanziellen Umständen zusammen, da gäbe es keine Faustregel. Man solle allerdings aufpassen, sich nicht unterbezahlen zu lassen.
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Begleitend zur Dissertation legt Hoernes Graduiertenkollege nahe – Forschungsprogramme für Promovierende. Diese gingen oft über drei Jahre, man sei nah an den Professoren dran und einem stünden finanzielle Mittel für die eigene Forschung zur Verfügung. Er selbst war erst als Post-Doc und somit nach Beenden seiner Dissertation an der Universität Bamberg Teil eines solchen Kollegs, hätte sich aber diese optimalen Voraussetzungen für seine eigene Dissertation gewünscht.
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Obwohl Hoernes ursprünglich in die Forschung wollte, entschied er sich schließlich gegen eine universitäre Laufbahn und bewarb er sich für eine Volontariatsstelle am Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart.
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„Eine meiner besten Entscheidungen war auch zu sagen, ich geh nicht an die Uni. Das war dann schon ein Rückschritt, wenn man von einer Stelle im Graduiertenkolleg dann ans Museum in ein Volontariat muss, auch finanziell. Aber im Endeffekt hat sich das absolut gelohnt, weil es der Bereich war, den ich auch wirklich machen wollte.“
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Seine Museumserfahrung während des Studiums ermöglichte ihm bereits ein Jahr nach Beginn seines Volontariats die Mitarbeit an einer großen Landesausstellung und das nicht als Volontär, sondern wissenschaftlicher Mitarbeiter und Mitkurator. Er erzählt, dass er viel Freude an den Ausstellungsvorbereitungen hatte. Allerdings warnt er, man solle nicht zu sehr in seinen Aufgaben aufgehen, sondern immer auch im Auge behalten, dass Verträge enden und man sich neu bewerben müsse. Wenn man nicht aufpasse, laufe der aktuelle Arbeitsvertrag aus und man stehe ohne Festanstellung auf der Straße.
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Arbeitslosigkeit und die Suche nach einer Festanstellung sind dauerpräsente Themen in der Kunstgeschichte, über die jedoch gerne geschwiegen wird. Hoernes‘ Kommentar dazu: „Ein ordentlicher Kunsthistoriker war auch mal arbeitslos.“ Er selbst sei ebenfalls im Lauf seiner Karriere bereits ohne feste Anstellung gewesen. Sein Rat für diese Situation: „Du kannst immer was machen. Zum einen würde ich versuchen in meinem Fachgebiet präsent zu bleiben, mit Leuten zu sprechen und nicht nur zu jammern, sondern dann auch mal Daumen gegrätscht weiterzuarbeiten, beweglich zu sein.“ Das eigene Netzwerk aktivieren, an Institutionen herantreten. Er selbst habe damals für Zeitungen geschrieben und Führungen gehalten. Bei der oft Nerven zerfressenden Suche empfiehlt er vor allem ein bisschen Gelassenheit und Selbstvertrauen. Vieles auf dem Arbeitsmarkt sei auch Zufall. Im Laufe der Jahre habe er gelernt, dass es wichtig sei, sich immer zu hinterfragen: „Bin ich jemand, der was mitbringt, dass mich eine Einrichtung einstellen würde?“ Sich Hilfe von außen zu holen, wenn man nicht weiterkomme, sei dabei keine Schande: „Das habe ich irgendwann mal im Beruf mal gemerkt, dass man sich auch durchaus Hilfe holen kann.“ Im Notfall gehöre aber eben auch dazu, zu akzeptieren, dass gerade nicht die Traumstelle in Aussicht sei und man einfach Geld zum Leben brauche.
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Hoernes arbeitete im Anschluss an seine ausgelaufene Stelle in Stuttgart zunächst ein Jahr als freier Mitarbeiter für die Staatlichen Schlösser und Gärten in Baden-Württemberg, bevor er ins niedersächsische Bad Gandersheim ging. Hier übernahm er die Leitung der Einrichtung des Portals zur Geschichte, die museale Neupräsentation der Sammlung Frauenstift Gandersheim. Diese Entscheidung traf Hoernes bewusst. Zwar beschreibt er das Projekt im Nachhinein als Himmelfahrtskommando mit ungewissem Ausgang. Doch hatte er hier die Position einer Leitung, konnte sein eigenes Budget verwalten, sich eigene Aufgaben setzen und sein Netzwerk erweitern: „Selbst, wenn man Chef von kleinem Haus ist, man redet mit den anderen Chefs. Wenn man in einem großen Haus ist, dann wird man immer eher versteckt und muss die Zuarbeiten machen.“
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Da ihm aber immer klar gewesen sei, dass Gandersheim nur eine Station sein würde, kam ihm ein Angebot der Kulturstiftung der Länder (KSL) in Berlin, eine der wichtigsten Förderer in der Kulturpolitik der Bundesrepublik, entgegen: die Stelle des stellvertretenden Generalsekretärs. Sicher habe er damals mit gemischten Gefühlen von der Seite des Geldnehmenden Museum auf die der Geldgebenden Stiftung gewechselt. Schließlich verlasse man das Feld, auf dem man sich auskennt. Gleichzeitig habe er enorm von seinen Erfahrungen im Museum profitiert, da er wusste, an welchen Stellen Museen Unterstützung benötigen.
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Nach sieben Jahren bei der Kulturstiftung der Länder ist er seit 2014 Generalsekretär bei der Ernst von Siemens Kunststiftung (EvSK). Das großartige an der Position? Man könne Ideen und Projekte auf den Weg bringen. Sein Job sei im Grunde genommen der eines Verwalters und Ansprechpartners für Museen. Die EvSK fördert seit 1983 historische Kunst überregionaler Bedeutung. Sie unterliegt einer Satzung, die wie ein Aufgabentableau fungiert und nach der die Stiftung – meist reaktiv – Projekte von Museen, darunter Ausstellungen, Ankäufe und Restaurierungen, aus dem eigenen Stiftungsvermögen fördert. In der Praxis bedeutet Stiftungsarbeit somit das Prüfen und Zusagen bzw. Ablehnen von Förderungen. Im Gegensatz zur KSL handelt es sich um eine personell kleine Stiftung, wodurch diese oft schneller als andere agieren kann. Besonders Freude mache es natürlich, wenn zunächst aussichtslose Projekte gelingen würden.
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„Ich finde, so eine Stiftung ist auch ein Schmiermittel im Kulturbetrieb. Wir können dadurch, dass wir frei sind, dass wir ausreichend Mittel haben, dass wir auf niemanden hören müssen, Dinge in die richtige Richtung schubsen, damit etwas passiert.“
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Während unseres Gesprächs betont Hoernes immer wieder, wie wichtig nicht nur im Kontext der Stiftungsarbeit die Aspekte Geld und Verwaltung seien: „Wenn wir nicht die Sammlung eines Oligarchen irgendwann einmal betreuen, haben wir immer mit Verwaltung, Geld, Recht zu tun, was keinen Spaß macht. Aber wenn man weiß, wie es läuft, hat man auch mehr Gestaltungsräume.“ Er legt uns nahe, sich in jedem Fall damit einmal auseinandersetzt zu haben. Denn am Ende ginge es auch in Uni und Museum immer um diese Themen. Das hätte man als Kunsthistoriker leider oft nicht auf dem Schirm.
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Hoernes schließt unser Gespräch damit, dass alles, was man einmal gelernt habe, man irgendwann einmal auch gebrauchen könne und anderen womöglich voraus habe. „Man übt ja immer nur die ganze Zeit.“ Man begegne ständig Neuem und umso mehr man ausprobiert habe, desto besser sei man für die Zukunft gewappnet.
In diesem Sinne freuen wir uns, dass wir mit Martin Hoernes unsere Interviewerfahrungen weiter erproben durften und danken ihm für dieses gewinnbringende Gespräch!
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- Valentina Bay, veröffentlicht am 16. Oktober 2020
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