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Dr. Felix Krämer
Generaldirektor, Kunstpalast Düsseldorf

Felix Krämer. Generaldirektor Kunstpalas

„Weil Kunst immer da war.“, antwortet Felix Krämer, Generaldirektor des Düsseldorfer Kunstpalastes und Sohn des Fotografen Volker Krämer, auf unsere Frage, wieso er keine erste Erinnerung daran habe. Aber es würde auch gut als Antwort passen, warum es für ihn nie in Frage gekommen sei, beruflich etwas ohne Kunst zu machen.

Trotzdem begann er „aus Vernunft“ zunächst ein Jura-Studium an der Universität Hamburg. Denn er dachte: „Mit Jura kann man anschließend im Prinzip immer noch alles machen.“ Schnell sei ihm aber klar geworden, dass er nicht zum Juristen tauge. Nach nur zwei Semestern brach er zugunsten der Kunstgeschichte ab. Da seine Abiturnote nicht dem benötigten NC entsprach, habe er sein „Halbwissen Jura genutzt“, um sich in den Studiengang einzuklagen. „Ich habe in meinem Leben nur einmal eine Klage geführt und das war, um Kunstgeschichte zu studieren.“, erzählt er uns. Seine Klage war erfolgreich. Den Schritt dazu habe er nie bereut.

© Kunstpalast, Düsseldorf, Foto: Andreas Endermann

Früh sei er sich sicher gewesen, dass er perspektivisch ans Museum möchte. Mit dem Gefühl, durch das Jura-Studium Zeit vergeudet zu haben, bewarb er sich etwas „streberhaft“ bereits im ersten Kunstgeschichtssemester auf Praktika. Die meisten Häuser lehnten ihn mit dem Argument ab, er solle doch erst einmal sein Grundstudium abschließen. „…was ich bis heute nicht verstehe.“, kommentiert Krämer. „Für die Praktikantentätigkeit spielt das überhaupt keine Rolle.“ Einzig bei der Kunsthalle Rostock hatte er Glück und konnte hier seine erste Museumserfahrung sammeln. 

„Mein Tipp: So schnell, wie es geht, praktische Erfahrung zu sammeln – sei es in Galerien, sei es in Museen, in Verlagen. Wenn man eine Vorstellung hat, wohin man möchte: Sofort raus aus dem Elfenbeinturm, lieber ein Seminar weniger. Es achtet auch später niemand mehr darauf, ob du eine Eins, Zwei oder Drei in Seminar XY hast. Viel wichtiger ist praktische Erfahrung, Dinge gesehen zu haben, Ideen zu haben und Kontakte. Kontakte sind das A und O. Und die krieg ich eher außerhalb der Uni.“

Seinen ersten Job im Ausstellungsbereich verdankte er nichtsdestotrotz dem universitären Umfeld. Er arbeitete damals als Hilfskraft in der Diathek des kunsthistorischen Instituts. Zwar beschriftete er lediglich Dias, bekam aber dadurch mit, dass der freie Kurator Christoph Geissmar-Brandi auf der Suche nach einer studentischen Assistenz war. „Da habe ich dann sofort ‚Hier!‘ gerufen.“ So unterstützte er mehrere Jahre „als Figur im Hintergrund“ Geissmar-Brandi bei der Erarbeitung von Ausstellungen, darunter Museen in Wien und Tokyo. Er kopierte, organisierte Literatur, recherchierte, kümmerte sich um Bildrechte und sah Verträge durch. Hier habe er das Kuratieren von der Pike auf gelernt. „Das war eine gute Schule und hat mir von Anfang an auch gezeigt, dass Uni nur die eine Seite der Medaille ist.“ Die meiste Zeit verbringe man später in der Regel außerhalb der Universität und vielen Dozierenden fehle die Erfahrung, diese Berufswelt zu vermitteln. „Ich hatte immer beides während des Studiums und das würde ich auch jedem empfehlen, wenn es möglich ist.“

Ein bedeutsamer Punkt in seinem Werdegang war die Begegnung mit den Werken des heute teuer gehandelten Künstlers Vilhelm Hammershøi. Krämer entdeckte seine Bilder im Museum in Kopenhagen und meinte, so viel Potenzial in dessen Werken zu erkennen, dass er sich in seiner Magisterarbeit intensiver mit dem dänischen Maler beschäftigen wollte. Zu dem Zeitpunkt war Hammershøi in Deutschland noch weitestgehend unbekannt und so musste er lange bei seiner Professorin um das Thema kämpfen. „Herr Krämer, begeben Sie sich nicht an die Ränder der Kunstgeschichte“, empfahl sie ihm damals. Diversität habe Mitte der 1990er Jahre noch überhaupt keine Rolle gespielt. „Ein dänischer Künstler. Das war schon exotisch.“ Weiterhin überzeugt von Hammershøis Können bot er der Hamburger Kunsthalle nach Abschluss der Arbeit das Thema als Ausstellung an und „zu meiner Überraschung haben die sich darauf eingelassen.“ So konnte Krämer, quasi noch Student, bereits seine erste eigene Ausstellung machen – und das an einem renommierten Haus. Die Kontakte, die er während seiner Praktika (darunter auch eines in der Hamburger Kunsthalle) hatte knüpfen können, seien hierfür ein maßgeblich entscheidender Faktor gewesen, betont er.

Parallel zu der Schau schrieb er seine Doktorarbeit, die er der Thematik des unheimlichen Heims widmete. Hierzu kam er durch Hammershøi, bei dessen Werken Innenräume eine entscheidende Rolle spielen. Ähnlich wie bei seiner Magisterarbeit sei seine Themenwahl auch dieses Mal von manchen Seiten als gewagt und ungewöhnlich empfunden worden. „Das klingt alles nach sehr viel Sturheit. Aber wenn ich etwas will, dann halte ich da auch dran fest.“ Dass seine Intention erneut richtig war, sieht er in späteren Ausstellungen zu dem Thema durch andere Kurator*innen bestätigt. Warum er sich für eine Promotion entschied? Vor allem auch Strategie. „Damals war klar: Wenn du ins Museum willst, brauchst du diesen Doktortitel. Das ist heute zum Glück anders.“ Es gebe sicher noch Kolleg*innen, die das anders sehen. Er selbst habe bei Einstellungen noch nie darauf geachtet. „Um erfolgreich im Museum Ausstellungen zu machen und zu forschen, dafür ist das nicht notwendig.“

Nach Hammershøi wollte er gerne weiter Ausstellungen machen. 2001 bot man ihm in der Hamburger Kunsthalle zunächst eine bezahlte Stelle als freier Kurator an. Um als vollwertiger Mitarbeiter des Museumsteams wahrgenommen zu werden, bewarb sich Krämer auf eine offene Volontärsstelle – auch, wenn das finanziell vorerst Verzicht bedeutete. Mit dem damaligen Kurator Martin Faass erarbeitete er in dieser Zeit ausgehend von der Sammlung des Hauses eine Ausstellung zum Thema Seestücke und maritime Malerei. „Das Thema war ganz analytisch gewählt: Ich habe mir angeschaut, welche Themen wurden nicht behandelt, welche will das Publikum, kann ich finanzieren und sind auch wissenschaftlich interessant.“ Die Ausstellung war ein Publikumserfolg.

Als 2006 ein neuer Direktor an die Kunsthalle kam, wurde Krämer dessen Referent. So machte er gleichzeitig Ausstellungen und unterstützte den Direktor in seinen Aufgaben als eine Art inhaltlich orientierte Assistenz. In dieser Position war er quasi erster Gesprächspartner für neue Ideen des Direktors.

Seine Hammershøi-Ausstellung hatte derweil die Aufmerksamkeit der Londoner Royal Academy und des National Museum of Western Art in Tokyo auf sich gezogen. Auf ihre Bitte hin, eine Schau zu dem dänischen Künstler auch in ihren Häusern zu kuratieren, organisierte er als freier Kurator zeitgleich zu seiner Stelle in Hamburg die Präsentation. Ob das trotzdem nicht sehr viel parallel gewesen sei? „Ich habe eine ganze Menge gleichzeitig gemacht. Multitasking ist wichtig. Mir macht das auch Spaß, ich werde nervös, wenn nicht genug passiert.“ Er fügt aber auch hinzu: „Zeitgleich vier Ausstellungen an unterschiedlichen Häusern, plus Referententätigkeit. Ich habe schon relativ wenig geschlafen in der Zeit.“

Was wichtig für den Beruf des*der Kurator*in sei? Vielleicht am grundlegendsten sei es, Ideen zu haben, diese weiter zu entwickeln und durchzusetzen. Wer krampfhaft nach Ideen suche, sei in dem Beruf voraussichtlich nicht gut aufgehoben. Außerdem von Bedeutung: Wissen, wo man hinwill und den eigenen Bestand gut kennen. Darüber hinaus seien ein Netzwerk und Vertrauen für die Projektentwicklung unerlässlich. Denn, „so toll die Möglichkeiten sind, der Druck, den es gibt, ist enorm.“ Sowohl im Museum als auch außerhalb. Was man tatsächlich nicht unterschätzen dürfe, sei, dass man als Kurator*in auch in der Öffentlichkeit stehe. „Man muss aushalten können, dass in der Zeitung auch mal steht ‚Das ist alles Quatsch.‘ und Leute hinter deinem Rücken reden.“ Das sei sicher eine Typ-Frage, er schätze es jedoch als Grundvoraussetzung für den Beruf ein.

2008 suchte das Frankfurter Städel Museum eine neue Sammlungsleitung für die Kunst der Moderne, auf die er sich erfolgreich bewarb. Hier gestaltete er die Neupräsentation der Sammlung, erarbeitete Ausstellungen; unter anderem zu Ludwig Kirchner, den französischen Impressionisten, der Schwarzen Romantik, dem Thema des Geschlechterkampfs sowie Vincent van Gogh und dessen Einfluss in Deutschland. Dabei versuchte er stets, Unbeachtetes zu erzählen, darunter 2014 die weitestgehend noch verstohlen behandelte Nazi-Vergangenheit Emil Noldes. Auch visuell wagte er neues. Beispielsweise, als er 2013 Werke des deutschen Malers Hans Thoma in einer Architektur aus knallorangen und -lila Wänden gepaart mit Kunstrasen inszenierte. „Eigentlich hatte ich am Städel meine Traumstelle – denn, da hatte ich  Sammlungsverantwortung.“ Zudem hatte er mit dem damaligen Direktor Max Hollein einen Chef, der ihn machen ließ. „Ideale Bedingungen“, resümiert Krämer.

Neun Jahre blieb er in Frankfurt, bis er 2017 dem Städel den Rücken kehrte und als neuer Direktor des Kunstpalastes in Düsseldorf begann. Wie es dazu kam? „Ich bin gefragt worden, ganz banal vom Headhunter.“ Eines Tages habe das Telefon geklingelt und eine freundliche Stimme ihn gefragt, ob er sich den Job vorstellen könne. „Ich muss ehrlicherweise sagen, das war nicht Liebe auf den ersten Blick.“ Ähnlich wie bei Hammershøi sah er aber, welches Potenzial die Institution und ihre Sammlung barg.

Viele Ausstellungen des Museums gehen auf seine Ideen zurück. „So sehe ich auch meine Rolle des Direktors: Impulse zu setzen.“ Etwa bei der Auto-Ausstellung PS: Ich liebe dich 2018, die von Dieter Castenow und Barbara Til ausgearbeitet wurde. Dass er mit dem Thema polarisieren und den Kunstpalast auf einen Schlag neu verorten würde, war durchaus gewollt. Seine Vorstellung sei ein offenes, vielfältiges und gleichzeitig finanzierbares Programm, das über den alten Kanon der Kunstgeschichte hinausgehe. Derzeit wird das Haus saniert. „Wenn wir Ende 2022 wiedereröffnen, dann wird das eine ganz andere Institution sein.[…]Da ist noch Potenzial.“ Auch, weil er denke, „dass Düsseldorf als Standort für die Kunst schon ein sehr, sehr guter ist.“

Eine Sache betont Krämer im Laufe unseres Gesprächs immer wieder: Kontakte. Was er bis heute nicht verstehe, sei, wieso so wenige Kunstgeschichtsstudierende auf Ausstellungseröffnungen in Museen und Galerien kommen oder an Galerierundgängen teilnehmen würden. Denn man solle als Studierende*r bloß nicht denken, diese Besuche blieben unerkannt. „Ich weiß von Galeristen: Die merken sich schon auch die Gesichter.“ Man solle bloß keine Scheu haben, einfach mal während des Normalbetriebs in die Galerien zu gehen und sich vorzustellen. Dabei laute die Devise: „Einfach auf die Galerist*innen zugehen. Die erwarten gar nicht, dass du mit deinem studentischen Geldbeutel Kunst für mehrere tausend Euro kaufst. Aber es gilt einfach, dieses Interesse zu signalisieren. Die freuen sich, wenn sich jemand interessiert.“ Diese simple effektive Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, werde viel zu selten genutzt. Weil, „die Kunstwelt ist so klein, wir begegnen uns alle immer wieder.“ Über was man in solchen Situationen am besten spricht? „Einfach fragen. Fragen, die man im Kopf hat, formulieren. […] Worüber man mit Freunden im Prinzip auch spricht. Ich glaube, es ist wichtig, da keine Hemmschwellen zu haben.“ Er selbst erlebe, dass junge Leute mitunter Scheu hätten, die Mitarbeiter*innen im Museum anzusprechen. „Ich war ja genauso mal in der Situation. Ich hab mir auch auf die Zunge gebissen, nicht gefragt und mich dann später geärgert.“

Also: „Keine Scheu, einfach ansprechen. Wenn mal eine blöde, arrogante Reaktion kommt, dann sich merken und weiter geht’s!“

Mit Vorfreude auf die Besuche der irgendwann wieder geöffneten Museen und Galerien danken wir Felix Krämer für das Gespräch und wünschen ihm, noch viele tolle Projekte am Kunstpalast umsetzen zu dürfen!

 

– Valentina Bay, veröffentlicht am 19. Februar 2021

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