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Dr. Meike Hoffmann

Dozentin am Kunsthistorischen Institut der FU Berlin,
Arbeitsbereich Provenienzforschung

Der „Schwabinger Kunstfund“ erregte 2012 großes Aufsehen. Im Rahmen eines Steuerermittlungsverfahrens bei dem Sohn des verstorbenen Kunsthändlers Hildebrandt Gurlitt wurden rund 1280, teils als verschollen geltende Kunstwerke der klassischen Moderne entdeckt. Aufsehen erregte der Fall, da es in den Medien zunächst hieß, es handele sich um NS-Raubkunst. Zwar traf dies nur auf wenige Fälle zu, doch mit dem „Fall Gurlitt“ rückte das Thema Provenienzforschung in Deutschland erstmals ins Blickfeld der breiten Öffentlichkeit. Mit in die Untersuchungen eingebunden war die Berliner Kunsthistorikerin Dr. Meike Hoffmann. Als Expertin für Kunsthandel im Nationalsozialismus arbeitet sie seit vielen Jahren als Provenienzforscherin.

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© Meike Hoffmann FU Berlin

Welchen beruflichen Weg sie einschlagen würde, das stand für Hoffmann nach ihrem Schulabschluss noch nicht fest. Zunächst absolvierte die junge Frau eine Art soziales Jahr beim Arbeiter-Samariter-Bund in ihrer Heimatstadt Bremen. Als sie sich danach für ein Studienfach entscheiden musste, war allerdings schnell klar: „Es wird Kunstgeschichte und nichts anderes.“ Rückblickend habe der sehr Theorie basierte Kunst-Leistungskurs sicherlich seinen Teil dazu beigetragen. „Ich habe dann in Kiel angefangen zu studieren.“ Die kleine Stadt empfand sie als ersten Studienort sehr segensreich. „Da kannten sich wirklich alle Studierenden der Kunstgeschichte untereinander. Auch die Professoren und die Studierenden hatten engen Kontakt. Wir haben viel gefeiert, wir haben viel unternommen, es gab sehr viele Exkursionen. All das finde ich vor allem am Anfang eines Studiums sehr wichtig. Dass man die ersten Hemmungen überwinden kann und eine Orientierung im Fach erhält.“

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Allerdings habe die Stadt als Studienort auch ihre Grenzen gehabt: „Die Professoren in Kiel waren auch ziemlich realistisch und ehrlich: ‚Rechnen Sie nicht damit, dass Sie damit Ihren Lebensunterhalt verdienen können‘.“ Diese Aussage sei auf Kiel durchaus zutreffend, denn Möglichkeiten, berufliche Erfahrung zu sammeln, seien dort sehr begrenzt. Diese „existenziell-bedrohliche Situation“ habe Hoffmann jedoch nie von der Fortsetzung ihres Studiums abgehalten. Zwar habe sie zwischenzeitlich eine Ausbildung zur Papierrestauratorin in Erwägung gezogen – sie habe sogar schon einen Ausbildungsplatz gehabt, entschied sich schlussendlich aber dagegen. Überzeugter denn je von ihrem Tun, wechselte sie die Universität und ging an die FU Berlin, um hier ihren Themenschwerpunkt der klassischen Moderne zu vertiefen.

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Hoffmann arbeitete die gesamte Zeit ihres Studiums viel. „Ich habe sehr lange studiert. Ich musste mir das Studium sozusagen verdienen. Mir blieb da quasi keine andere Wahl. Aber ich fand das auch sehr inspirierend – ich hätte nicht nur studieren können.“ In Kiel als Kellnerin, in Berlin dann endlich im Kunstbereich. Bald nach ihrer Ankunft in der Hauptstadt stellte sie sich im Brücke-Museum vor und erhielt eine Stelle als Museumsführerin. „Das war ein ganz guter Nebenverdienst und so habe ich mich dann in die Museumsszene eingearbeitet.“ Mit dieser Stelle habe sie einen Fuß in der Tür gehabt und konnte sich so langsam ein Netzwerk aufbauen. Später machte sie auch Führungen für das Bröhan-Museum, arbeitete bei der Schenkungsinventarisierung des im Aufbau befindlichen Keramik-Museums und gab Lehrveranstaltungen für das Goethe-Institut, wo sie ausländische Studierende in die Kunstgeschichte einführte. „Ich denke, dass das sehr wichtig ist: Einmal, damit man auch einen Ausgleich zum Studium hat, aber auch, wenn man schon ständig mit dieser schwierigen Berufssituation konfrontiert wird, dass man Kontakt zur ganz reellen Berufsszene hat. Dadurch habe ich auch viel Mut bekommen, dass es danach schon weitergehen würde.“

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Im Zuge dieser verschiedenen beruflichen Erfahrungen kristallisierte sich für Hoffmann die klassische Moderne als ihr Themengebiet und das Museum als eine durchaus mögliche berufliche Zukunft heraus. Ganz im Gegensatz zur Arbeit an der Universität: „Als ich studiert habe, habe ich mir immer gesagt, an der Uni bleibst du nicht länger. Ich will das nicht nur alles theoretisch machen. Ich brauche auch irgendwie den Umgang mit den Werken.“

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1993, nach Abschluss ihres Magisters, hatte sie Glück: Im Brücke-Museum war spontan eine Volontariatsstelle freigeworden. Man benötigte akut eine Person, die in das laufende Ausstellungsprojekt einsteigen könne. Hoffmann, die das Haus kannte und gerade ihre Abschlussarbeit zu dem Brücke-Künstler Ernst Ludwig Kirchner verfasst hatte, war die optimale Besetzung. „Ich hatte das Glück, dass man mich angerufen hat. Ich bin sofort dahin gefahren und habe den Vertrag unterschrieben.

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Als Volontärin in dem doch recht kleinen Brücke-Museum habe sie sehr viel gelernt. „Man arbeitet von Anfang an konkret und übernimmt Aufgaben.“ Vom Umgang mit den Kunstwerken über das Schreiben von Texten und das wissenschaftliche Arbeiten bis hin zur Bearbeitung von Anfragen und der Verwaltung, Hoffmann erhielt in alles Einblicke. Durch das kleine Team herrschte zudem eine fast familiäre Atmosphäre. Nach Ende ihres Volontariats, das verlängert wurde, erhielt sie einen befristeten Vertrag als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Eine Verlängerung der Stelle kam allerdings nicht zustande. Hoffmann wurde schwanger und ging nach vier Jahren am Museum in Elternzeit, welche schließlich fünf Jahren dauern würde. Sie nutzte diese Zeit, um ihr Dissertationsprojekt zum Leben und Schaffen der Künstlergruppe Brücke inklusive eines kommentierten Werkverzeichnisses der Geschäfts- und Ausstellungsgrafiken endlich zu realisieren. Durch eine hierzu ursprünglich geplante Ausstellung hatte Hoffmann bereits eine gute Grundlage für ihre Doktorarbeit. So entspannt das aus heutiger Sicht klingen mag, sei es natürlich nicht gewesen: „Wenn man kleine Kinder hat, ist das auch nicht ganz einfach.“ Sie erzählt davon, dass sie sich zum Schreiben immer wieder in die Gästewohnung ihrer Nachbarin im Keller des Hauses zurückzog, um ohne Ablenkung arbeiten zu können. Die Verbindung zum Kunst- und Museumsbetrieb verlor sie in dieser Zeit dennoch nicht. Durch ihre Tätigkeit im Brücke-Museum hatte sie sich mittlerweile einen Namen machen und ein Netzwerk mit Expert*innen aufbauen können. Das ermöglichte ihr, freiberuflich Aufsätze zu schreiben und Vorträge zu halten.

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2006, ein Jahr nach Ende ihrer Promotion, wurde sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der FU Berlin. Erneut war ihre Expertise zu den Brücke-Künstlern ausschlaggebend. Nun war sie dort, wo sie während des Studiums eigentlich nie hinwollte: Zurück an der Uni. Doch ihre Befürchtungen, nur theoretisch zu arbeiten, bewahrheiteten sich nicht. Durch die enge Zusammenarbeit mit den von den Beschlagnahmungen betroffenen Museen verlor sie nie wirklich den unmittebaren Umgang mit Kunstwerken. Zu den betreuten Projekten gehörten neben verschiedenen Ausstellungsprojekten u.a. die Nachlassaufarbeitung des Kunsthändlers Bernhard Böhmer und der „Berliner Skulpturenfund“. Herz der Forschungsstelle sei jedoch die Datenbank, in der die von den Nationalsozialisten in Museen beschlagnahmten Werke rekonstruiert werden. Im Zuge ihrer Mitgliedschaft im internationalen Arbeitskreis Provenienzforschung e.V. ab 2008 initiierte Hoffmann, die Arbeit der Forschungsstelle an der FU Berlin und insbesondere die Datenbank auch auf die allgemeinen Belange der Provenienzforschung auszurichten, was eine strukturelle Umwandlung mit sich zog. „Das ist unsere Hauptaufgabe. Und natürlich die Lehre, zu vermitteln, weiter zu forschen und in Publikationen zu kontextualisieren.“ Ihr Anspruch sei immer, ihre Lehre eng mit ihren Forschungsprojekten zu verzahnen. 2011 richtete sie das erste akademische Studienmodul „Provenienzforschung“ an der FU ein, um Nachwuchs zu sichern und das Thema in der Universitätslehre zu verankern. Seitdem ist das Modul regelmäßig mit Beginn im Wintersemester für Studierende belegbar, in deren Veranstaltungen zahlreiche Gastdozent*innen der unterschiedlichsten Disziplinen eingebunden sind.

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2012 wurde dann in München Schwabing die Sammlung Gurlitt entdeckt und man benötigte eine*n Sachkundige*n. Als klar wurde, dass sich in dem gefundenen Bestand viele Werke der klassischen Moderne, insbesondere der Brücke-Künstler, befanden, wandte man sich an Hoffmann. Die Vermittlung ergab sich über einen der damaligen Gastdozenten des Studienmoduls, der zu diesem Zeitpunkt für das Kultusministerium als Referatsleiter im Bereich Provenienzforschung tätig war. Hoffmann sollte sich als Gutachterin für die Ausburger Staatsanwaltschaft einen Eindruck über die gefundenen Werke verschaffen. „Richtig arbeiten durfte ich mit der Sammlung allerdings nicht, denn sie war ja eingezogen. Ich durfte kein eigenes Inventar oder ähnliches erstellen, es waren wirklich nur Gutachten, also, dass man eine Stellung dazu bezieht, um dann mögliche zukünftige Schritte einleiten zu können.“ Der Fall war damals stark präsent in den Medien und auch politisch ein Thema – das Vorgehen der staatlichen Behörden, die Werke lange vor der Öffentlichkeit unter Verschluss zu halten, wurde stark kritisiert. Hoffmann rekapituliert heute, dass vieles falsch oder schlecht kommuniziert worden sei. Dies habe das Sensationsfeuer um den Bilderfund immer wieder angeheizt. Für ihre eigene Arbeit habe Hoffmann aus dieser Zeit viel gelernt. Die unterschiedlichen Interessen von Wissenschaft und Politik hätten die Untersuchungen der einzelnen Werkprovenienzen immer wieder behindert. „Ich denke, ein großer Fehler unserer Politik ist, zu denken, dass sie die Wissenschaftler steuern müssen und können. Sie können viel von uns gewinnen und verwenden, was sie brauchen. Aber uns zu steuern, das führt gegen die Wand.“

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Ihre aktuelle Aufgabe ist die Projektleitung der 2017 initiierten Mosse Art Research Initiative, eine öffentlich-private Provenienzforschungspartnerschaft von deutschen Institutionen und Nachfahren nationalsozialistischer Verfolgung. Grundidee sei, die sonst meist bestehende Konfrontation zwischen Museen und Erb*innen durch eine neutrale Stelle zu entschärfen und so den gegnerischen Druck, der durch die unterschiedlichen Interessen geschürt wird, zu senken. Im Zentrum stehe dabei die Rekonstruktion der Sammlung des jüdischen Verlegers Rudolf Mosse. Im Gegensatz zur Provenienzforschung am Museum habe man hier keine konkreten Werke, von denen man ausgeht, sondern: „Sie haben nur die Quellen in der Hand und müssen die Werke erstmal identifizieren.“ Diese Arbeit koordiniert Hoffmann. Dabei ist sie weniger an den einzelnen Werkrecherchen beteiligt, als dass sie mehr vernetzt, die Kommunikation mit den Kooperationspartnern betreut und als Sprecherin auftritt.

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Die klassische Uni-Laufbahn hat Hoffmann nie gewählt. „Ich könnte das noch nachholen. Aber so ganz entspricht das nicht meinem Werdegang.“ Rückblickend sagt sie, habe sie durch ihren Wunsch auf immer neue Projekte die Chance verpasst, zu habilitieren. „Ich bin schon jemand, der gerne arbeitet. Ich hatte eben immer irgendetwas zu tun, was an konkrete Aufgaben gebunden ist, die schneller gelöst werden müssen.“ Langwierige Projekte, wie etwa Buchpublikationen, könnten sie allein nicht zufrieden stellen. „Ich muss immer irgendwie zwischendurch andere Ergebnisse haben.“  Auch, weil man dadurch immer wieder Feedback auf das eigene Arbeiten erhalte, um sich selbst zu justieren.

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Dass sie trotz fehlender Habilitation an der Uni so weit kommen konnte und heute eine entfristete Stelle hat, verdankt Hoffmann auch der Tatsache, dass sie sich neben der klassischen Moderne und den Brücke-Künstlern auf die Provenienzforschung spezialisiert hat – und das zu einem Zeitpunkt, als es nur wenig Personen in Deutschland auf diesem Gebiet gab. Während ihres Studiums spielte das Thema fast keine Rolle – weder an den Universitäten, noch in Kunsthandel oder Museen. Sie erzählt von ihrem Volontariat am Brücke-Museum, wo sie das erste Mal damit konkret in Berührung kam: „Ich erinnere mich sehr genau, dass ich wirklich gestutzt habe, wie man damals mit Provenienzen verfahren ist. Das hat in Museumskatalogen kaum eine Rolle gespielt. Dabei gehört Provenienzforschung eigentlich zu den Grundlagen der Kunstgeschichte als akademische Disziplin. Aber das ist seit dem 19. Jahrhundert sehr zurückgestampft worden, man hatte kein Interesse daran. Im Brücke-Museum ist man dann so vorgegangen: Entweder die Werke kamen aus der Karl und Emy Schmidt-Rottuff-Stiftung oder sie kamen aus dem Kunsthandel.“ Aus heutiger Perspektive kann man darüber nur erstaunt schmunzeln.

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Wer heute als Kunstgeschichtsstudierende*r in die Provenienzforschung möchte, bräuchte laut Hoffmann nicht befürchten, keine Stelle zu finden. Vor allem in Bezug auf die digitale Provenienzforschung sehe sie enormes Potenzial. Denn allein im Bereich des Kunstgeschehens im Nationalsozialismus gäbe es noch so viele offene Bereiche. „Das hat der Fall Gurlitt auch noch einmal gezeigt. Man sagt immer, dass diese zwölf Jahre die am besten aufgearbeiteten in der historischen Wissenschaft sind, aber der Kunstbereich ist da ausgenommen.“ Wichtig sei natürlich eine gewisse Affinität. Vor der Arbeit mit Bestandskatalogen, dem Identifizieren von Werken und der mühseligen Arbeit mit Dokumenten und Originalquellen dürfe man nicht zurückschrecken. „Aber das stellt sich schnell heraus.“

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Hoffmann jedenfalls trägt diese Begeisterung in sich: „Eigentlich bin ich Wissenschaftlerin durch und durch.“

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Wir danken Meike Hoffmann für das schöne Gespräch und wünschen ihr viel Erfolg bei ihren weiteren Forschungsprojekten!

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  – Valentina Bay, veröffentlicht am 4. Juni 2021

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